Interview von jetzt,
dem Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung,
mit Dan Houser, Rockstar
Games:
"UNSERE IDEEN SIND NICHTS FÜR KINDER."
Die New
Yorker Firma Rockstar Games produziert genau die Videospiele, vor denen
dich deine Eltern
immer gewarnt haben: Ob man für die Mafia Autos klaut wie in
"Grand Theft Auto", in
"Smugglers Run" zum Schmuggler wird oder in "State of
Emergency" Fast-Food-Lokale
niederbrennt - selten sind die Aktivitäten in
Rockstar-Spielen legal. Wir sprachen mit
Dan Houser, dem kreativen Kopf von
Rockstar Games, über Gewalt, Humor und den Reiz des
Verbotenen.
Die Büroräume von Rockstar Games in New York sehen genau so aus,
wie man sich
als Zwölfjähriger eine Videospielfirma vorgestellt hat. Schon in der Lobby
stehen Playstations zum Probespielen, dahinter arbeiten in einem Loft rund 50
Leute,
die meisten jung und viele weiblich. Jungs in Skaterklamotten spielen
Konsolen-Fußball,
die Wände sind mit Postern von Karatefilmen beklebt. Dan
Houser, ein Brite, der ziemlich
schnell redet, ist der Creative Director von
Rockstar Games. Er ist auch einer der
Autoren von "Grand Theft Auto 3", dem
vielleicht besten Videospiel der letzten Jahre. In
den vergangenen Monaten hat
sich "GTA 3" rund drei Millionen Mal verkauft. Oberflächlich
betrachtet besteht
das Gangster-Spiel nur aus Autoverfolgungsjagden, aber in dem Spiel
versteckt
ist jede Menge satirischer Irrwitz - mit Seitenhieben gegen Werbung,
Waffenfreaks, Turnschuhfirmen und Boybands.
Dan Houser, in Deutschland
hat ein 19-jähriger Schüler bei einem Amoklauf in
seiner ehemaligen Schule 16 Menschen
und dann sich selbst erschossen. Er war
großer Videospiel-Fan - und entsprechend heftig
wird gerade wieder über Gewalt
in Videospielen diskutiert. Macht der Humor in euren
Spielen die Gewalt weniger
gewalttätig?
Ich glaube schon. Gewalt in
einem satirischen Kontext, also zum Beispiel in
einem Tarantino-Film oder in einem Film
der Gebrüder Coen, beansprucht den
Zuschauer emotional weniger stark. Das ist die
Stimmung, die wir in unseren
Spielen haben wollen: Sie sind offensichtlich sehr brutal,
aber auch sehr
lustig. Sie schockieren dich, aber bringen dich auch zum Lachen.
Allerdings
sollten die Spiele nicht von Kindern gespielt werden, die diesen Unterschied
nicht verstehen. Ich glaube, dass Altersbeschränkungen für Spiele etwas
Positives
sind. Da ist es angebracht, konservativ zu denken.
Eure Spiele erwecken
den Eindruck, dass ihr selbst stark von Filmen und
Popkultur inspiriert seid...
Das stimmt. Unsere Spiele sind immer Spiegelungen von Popkultur. "Grand Theft
Auto" und "Max Payne" sind Hommagen an amerikanische Gangsterfilme, die wir
lieben.
Ich denke, unsere Spiele sind eher Kommentare über Filmgewalt als
Gewaltspiele. Fast alle
unsere Spiele sind von anderen Medien inspiriert.
Woher kommt das?
Na ja, wenn du als Engländer nach Amerika ziehst, und Nacht für Nacht
US-Fernsehen schaust, fragst du dich natürlich irgendwann, ob hier alle verrückt
geworden sind. Diesen Eindruck verarbeiten wir in unseren Spielen. In "GTA 3"
hörst
du im Autoradio typisch amerikanische Werbung - für Psycho-Pillen, einen
Haustier-Übernachtversand und benzinfressende Jeeps. Schon das erste "GTA" war
stark
vom Fernsehen inspiriert: Mitte der neunziger Jahre sah man immer diese
Helikopterbilder
von Autoverfolgungsjagden, Reality TV, die OJ-Simpson-Flucht.
Sobald man damals den
Fernseher anschaltete, sah man irgendeinen Irren mit
seinem Kleinlaster durch L.A. rasen.
Unterscheidest du zwischen verschiedenen Arten von Gewalt in
Spielen?
Ich würde niemals einen Ego-Shooter wie "Quake" machen, weil mir
von der Art
der Bewegung schlecht wird. So gesehen bin ich moralisch aus dem Schneider.
Aber
es gibt tatsächlich einen psychologischen Unterschied zwischen einem Ego-Shooter
und einem Third-Person-Shooter, bei denen man eine sichtbare Spielfigur steuert:
Beim
Third-Person-Spiel hat man eher das Gefühl, eine Film-Figur zu steuern. Bei
einem
Ego-Shooter hat man das Gefühl, in einer Welt zu sein. Das bringt
stärkeres emotionales
Engagement mit sich.
Sind Hintergrundstorys wichtig für den Erfolg eines
Spiels?
Ja. Auch Videospieler lieben gute Geschichten. Es gab in den
letzten zehn Jahren
eine Phase, in der alle dachten, die Story sei unwichtig. Es gehe nur
um die
sinnliche Erfahrung. Spiele wie "Doom" oder "Quake" schienen das zu beweisen.
Sprich: So lange sich das Monster-Abknallen prima anfühlt, braucht niemand zu
wissen,
warum er auf die Monster schießt. Aber das ändert sich jetzt. Wenn du
zusätzlich zu der
sinnlichen Erfahrung auch noch eine Geschichte durchlebst,
macht das Spiel mehr Spaß. Das
Problem der Videospiel-Industrie ist aber, dass
die meisten Geschichten armselig sind.
Stimmt. Wieso ist das so?
Wahrscheinlich, weil sie von
Leuten geschrieben werden, die ihre Zeit nur damit
verbringen, auf Computerbildschirme zu
starren. Ich glaube, dass die
Spiele-Industrie jetzt etwa in dem Stadium ist, in dem die
Filmindustrie 1910
war. Damals ging es vor allem darum, die Technik in den Griff zu
kriegen.
Autoren und Regisseure hatten ihre Bedeutung noch nicht entfaltet. So ist es
auch bei uns: Noch sind die Programmierer die wichtigsten Leute. Aber Designer,
Autoren, Animatoren, und Komponisten werden immer wichtiger.
Was ist
für dich ein gutes Spiel?
Ohne respektlos sein zu wollen: Ein Spiel über
einen Klempner oder einen Drachen
ist einfach nicht besonders relevant für mich. Es macht
zwar Spaß, aber
eigentlich nur, weil die Mission dich beschäftigt. Bei unseren Spielen
sollte
die ganze Umgebung so sein, dass du gerne darin abhängen möchtest - ganz
unabhängig von der Mission. Wir versuchen deshalb, unsere Interessen in Spiele
einzubringen: etwa Filme oder Musik.
Der Autor Stephen Johnson
behauptete in der Zeitschrift Wired , Spiele seien
heute die fortschrittlichsten
Anwendungen für künstliche Intelligenz. Spielt das
für euch eine Rolle?
Es ist richtig: Die Intelligenz der Computergegner hat sich sprunghaft
entwickelt. Sie sind trickreicher geworden, sie haben gelernt, die
Verhaltensmuster
von Spielern zu lesen. Aber trotzdem ist die Grundidee noch die
gleiche: ein Held allein
in einer Welt voller Fieslinge. Für mich wäre auch das
Gegenteil spannend: Wenn man an
der Seite eines freundlich gesonnenen Charakters
spielen könnte, der dir bei deiner
Mission hilft. Bisher sind solche Freunde ja
nur Plagen. Man muss sie ständig beschützen.
Wenn sich das ändern würde, hätte
man nicht immer nur feindselige Begegnungen im Spiel.
Man könnte während eines
Spiels ausnahmsweise etwas anderes fühlen als puren Hass.
Hört sich nach einer Revolution an...
Ja, in der
Zukunft könnte so ein Charakter deinen Bruder oder deine Freundin
spielen. Das geht aber
natürlich nur, wenn die Charaktere intelligent sind. Du
willst ja nicht, dass dein Bruder
ein Idiot ist.
Hat die Technik der neuen Konsolen PS2 und Xbox euren
Zugang zu Spielen
verändert?
Die meisten neuen Veröffentlichungen
sehen ja nur hübscher aus. Es ärgert mich,
dass ich mir jetzt für die PS2 fast die
gleichen Spiele kaufen soll wie für die
Playstation 1. Wir müssten die Technik der neuen
Konsolen viel mehr nutzen, um
Grenzen zu überschreiten.
Wie das?
Zum Beispiel, in dem man endlich die einengende Idee der "Levels"
abschafft.
Indem man dem Spieler mehr Freiheiten gibt, selbst zu entscheiden, was er
entdecken möchte und wann. Das Beste an der neuen Technik ist: Es gibt plötzlich
ein
enorm großes Potenzial für Erfahrungen, die wir als die Schöpfer der Spiele
nicht mehr
wirklich kontrollieren. Wir schaffen nur noch eine Umgebung. Darin
können wir den Spieler
von der Leine lassen.
Über eure Spiele wird gesprochen wie über Popmusik
oder Romane. Sie tauchen
auch außerhalb des Ghettos der Spielemagazine auf. Ist es für
dich und deine
Kollegen wichtig, dass Spiele so ernsthaft diskutiert werden wie andere
Kulturprodukte auch?
Das ist für unser Ego gut. Ansonsten hat es
keine große Bedeutung. Aber man kann
natürlich sagen: Schau dir ein Spiel wie "GTA 3" an
- und auf der anderen Seite
das Gros der Filme, die Hollywood in diesem Jahr produziert
hat. Und dann
entscheide, welches der intelligentere Kommentar über die Gesellschaft ist.
Natürlich ist es absurd, dass Computerkunst, sobald sie unter dem "Kunst"-Label
läuft, diese Anerkennung erhält. Obwohl sie selten überzeugend ist. Ich schaue
mir
alles an, was es an digitaler Kunst gibt. Und kann sagen: die beste,
kreativste steckt in
Videospielen.
Eure Produkte sind ausdrücklich für Erwachsene. Könnt ihr
euch vorstellen,
auch in den jüngeren Markt von Nintendo und Co. einzusteigen?
Sicher. Wir sagen nicht: Wir wollen keine Kinderspiele machen. Das Problem
ist,
dass wir nicht besonders viel über Kinder wissen. Die Leute hier in der Firma
sind größtenteils zu jung, um selbst Kinder im Spiele-Alter zu haben. Nintendo
leistet sich eine ganze Armee von Forschern und Psychologen, die verrückte
Scheiße
mit den Kleinen anstellen, um alles über sie rauszukriegen. Aber hier
fühlt sich niemand
als Teil dieser Welt. Anders gesagt: Die Ideen, die wir
haben, sind niemals gut für
Kinder.
Text: Marc Deckert
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